Das Projekt La Somme (1914-2014)
Im Jahr 2014 jährte sich zum 100. Mal der Ausbruch des 1. Weltkrieges, “ La Grande Guerre“ im Französischen oder in Englisch „The Great War“.
Dieser Jahrestag war sicherlich kein Grund zum Feiern. Er diente aber dazu, die Menschheit und insbesondere uns Europäer daran zu erinnern, dass Konflikte nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen dürfen. Kriege verursachen unzählige Tote und Verletzte und bringen Angst, Elend und Verzweiflung für die beteiligten Völker.
Frankreich hat auf seinem Territorium besonders gelitten. Im Norden, in der Gegend von Verdun und Reims und im Gebiet der Marne und Somme, fanden mörderische Graben- und Stellungskämpfe auf engstem Raum statt, so dass dort tausende Opfer sowohl an der Front als auch in den Städten und Dörfern zu beklagen waren.
Die Idee, gemeinsam mit unseren Freunden aus Montigny-le-Bretonneux und aus Denton das Wochenende vom 17. bis 19. Oktober 2014 in der Nähe von Amiens im Departement La Somme zu verbringen, stammte aus Montigny auf Initiative des dortigen Partnerschaftsvereins AMI.
Es wurden Soldatenfriedhöfe, ein Museum und Gräben des damaligen Stellungskrieges besucht, um sich die sinnlosen Gräuel dieser Zeit vor Augen zu führen sowie der gefallenen und verwundeten Soldaten und ihrer Familien zu gedenken.
Die meisten von uns leben nun schon seit fast 70 Jahren in Frieden und Eintracht in einem Europa, das immer mehr zusammenwächst. Nationale Grenzen dienen nicht mehr der Abschottung, sondern können mehrheitlich ohne Kontrollen und Formalitäten freizügig überschritten werden.
Europa hat aus zwei opferreichen Weltkriegen gelernt, friedlich und verhandlungs- und kompromissbereit jegliche Feindseiligkeiten zu vermeiden.
Und das soll/muss in Zukunft so bleiben.
La Grande Guerre: Das Wochenende vom 08. bis 11.11.2014
Seit über einem Jahr arbeiteten die drei Partnerschaftsvereine von Monigny le Bretonneux, Denton und Kierspe an dem Projekt „La Somme“. Initiatorin war Claudine Adroit aus Montigny. Sie stieß aber zunächst auf einige Skepsis von Seiten Kierspes. Denn hier hatte sich keiner Gedanken gemacht, dass der Beginn des 1. Weltkrieges, La Grande Guerre oder The Great War, Anlass zu einer 100-Jahre-Gedenkfeier sein könnte. Gewöhnlich feiert man ja das Ende eines Konfliktes.
Trotzdem wagte man sich an das Vorhaben. Die anfängliche Zurückhaltung schlug schnell um in historischen Forschertrieb und Begeisterung für Kierspes 1. Weltkriegsvergangenheit.
Christiane Busch fiel die Hauptrolle der Recherchen zu. Unterstützt wurde sie vom Ortsheimatpfleger Ulrich Finke, der Fotos des Kiersper Kriegsfotografen Hellmund bereitstellte, und Marlen Vedder vom Heimatverein. Die Übersetzungen ins Französische übernahm Harald Kredler.
Die zu bearbeitende Themenvielfalt erforderte umfangreiches Sichten von Quellen: Kierspe um 1914, gefallene Soldaten aus den Gemeinden Kierspe und Rönsahl, Lebensläufe, Fotos, Postkarten und Erlebnisberichte von Soldaten.
Zur großen Überraschung trug Marlen Vedder vom Fritz-Linde-Museum bei. Der Kiersper Heimatdichter Fritz Linde wurde nämlich gleich zu Beginn der Mobilmachung im August 1914 zum Kriegsdienst eingezogen. Auf Wache an der Front bei Verdun in Frankreich verfasste er zwei Gedichte. Außerdem schrieb er mehrere Briefe an seine Frau Lina. Also musste sein Lebenslauf erstellt werden, dann auch noch der Lebenslauf von Wilhelm Gerlach, Christiane Buschs Großvater. Am Stadtfest im September konnten schließlich alle Kiersper Materialien an Claudine Adroit übergeben werden.
Daraufhin entwarf Montigny eine Ausstellung der drei Partnerstädte. Diese übertraf alle Erwartungen: große Schautafeln zu Stadtporträts und Soldatenschicksalen, Kriegsdokumente, Originalplakate, Uniformen und Ausrüstungsstücke, Waffen und Helme. Hilfreich war die Tatsache, dass in der Gegend von Montigny ein Club von Sammlern existiert, der Unmengen an Objekten besitzt und diese bereitwillig zur Verfügung stellte. Auch Kierspe konnte einige Ausstellungsgegenstände bereitstellen: einen Gürtel mit Koppel, eine Trommel, ein Bajonett, eine Gedenktafel aus Metall und eine Gedenkurkunde für einen gefallenen Kiersper Soldaten.
Zur Eröffnung der Ausstellung am 08.11. waren Christiane Busch und Harald Kredler angereist. Einige Mitglieder des Chores Monday Monday mit Johannes Koch gestalteten den musikalischen Beginn der Veranstaltung.
Nach der Begrüßung durch Michel Laugier, Bürgermeister von Montigny, wurde das Wort an Harald Kredler weitergereicht. In Vertretung für Kierspes Bürgermeister Frank Emde, der verhindert war, und im Beisein englischer und italienischer Freunde berichtete er von den Schwierigkeiten der Findung und Zusammenstellung der Kiersper Materialien.
Da viele Deutsche nach den Wehen des 2. Weltkrieges ihre ursprüngliche Heimat verlassen mussten, hatten sie dabei ihr Hab und Gut sowie persönliche Dokumente verloren. Er erinnerte an die kleine Delegation von Kierspern, die Ende Oktober mit den französischen und englischen Partnern Schauplätze und Soldatenfriedhöfe des 1. Weltkrieges in der Gegend des Flusses Somme in der Picardie besucht hatten. „Das Gedenken an den Großen Krieg schon jetzt in 2014 hat sich als notwendig und fruchtbar erwiesen, damit sich eine derartige Katastrophe nie wieder auf unserem europäischen Boden ereignet“, fuhr er fort.
Angedacht wurde in Montigny bereits, dass der Verein für Städtepartnerschaften die zusammengestellten Unterlagen über Kierspe, vielleicht in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein, im November 2015 der Bevölkerung in einer kleinen Ausstellung präsentiert.
Das Wochenende vom 08. – 11. November stand in Montigny ganz im Zeichen der Erinnerung an den Ausbruch des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren. Motto war „Ein Dorf im Großen Krieg“ („Un village dans la Grande Guerre“).
Aber auch einige landeskundliche Attraktionen standen auf dem Programm. So konnten Christiane Busch und Harald Kredler das neu eröffnete Museum der Stiftung (Fondation) Louis Vuitton im Pariser Bois de Boulogne besuchen und das schöne Schloss von Breteuil in der Nähe von Montigny bewundern. Außerdem erhielten sie eine bürgermeisterliche Führung durch Montignys neues nationales Velodrome und BMX-Zentrum.
Am Montag reiste dann noch Andrew Gwynne, der englische Parlamentsabgeordnete (MP) von Denton an. In seiner Gegenwart fand am Abend im Saal Jacques Brel eine theateradaptierte Lektüre von Briefen einzelner Weltkriegsteilnehmer unter Leitung von Claudine Adroit und Denis Tison statt, der auch in der Kiersper Kunstszene bekannt ist.
Fünf französische Jugendliche trugen die Zitate in den Originalsprachen und in französischer Übersetzung vor. Dabei wurden auch die ersten Verse „Wo Lenne und Volme die Täler durchzieh’n.“ von Fritz Lindes Gedicht „Den Toten vom Landwehrregiment 30“ verlesen.
Den Abschluss dieser Abendveranstaltung bildete der Film „Joyeux Noel“/“Fröhliche Weihnachten“, der den inoffiziellen und verbotenen Waffenstillstand in der Weihnachtsnacht 1914 eindrucksvoll und berührend thematisiert. Damals krochen britische, französische und deutsche Soldaten, die sich nur wenige Meter voneinander bekriegten, aus ihren Schützengräben, zelebrierten einen gemeinsamen Weihnachtsgottesdienst und spielten anschließend Fußball miteinander.
Der absolute Höhepunkt des langen Wochenendes war der französische Nationalfeiertag zum Gedenken an den Waffenstillstand am 11.11.1914.
Dieser Tag ist vergleichbar mit unserem Volkstrauertag.
In der deutschen Erinnerungskultur ist er eher ein trister Gedenktag mit nicht gerade großer Resonanz durch die Bevölkerung, während die französischen Feierlichkeiten die Trauer um die gefallenen Soldaten aller Kriege in eine positivere Perspektive umschlagen lassen.
Um 09.45 Uhr versammelten sich Bürgermeister Michel Laugier und seine Ehefrau Agnes, viele Ratsmitglieder mit ihren Schärpen in den Nationalfarben blau – weiß – rot, Polizei- und Militärbeamte sowie Feuerwehrleute in ihren Ausgehuniformen, Kriegsveteranen mit ihren Militärorden und natürlich viele Bürgerinnen und Bürger.
In der ersten Reihe hinter bretonischen Dudelsackspielern aus Montigny befanden sich auch der englische MP Andrew Gwynne und seine Delegation um George Newton und Diane Roache und die beiden Kiersper Abgesandten Christiane Busch und Harald Kredler.
In einem Schweigemarsch gingen alle zum Denkmal der in den Kriegen für das Vaterland gefallenen Soldaten. Das Kommando hatte ein ehemaliger ranghoher Offizier und Kriegsveteran. Alles war straff durchorganisiert und lief nach minutiösem Protokoll und militärischen Befehlen ab.
Am mit französischen Tricoloren (Nationalfahnen) geschmückten Denkmal warteten bereits Hunderte von Menschen jeder Altersgruppe. Bürgermeister Michel Laugier verlas die offizielle Botschaft des französischen Verteidigungsministers und begrüßte die Vertreter der Partnerstädte.
Er und mehrere Vertreter der Kriegsveteranenverbände legten Blumengestecke am Denkmal nieder.
Es folgten Andrew Gwynne als Vertreter des britischen Parlamentes, George Newton als Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins von Denton und Diane Roche für den Kreis Tameside.
Sie hatten je einen Kranz mit Poppies, Mohnblumen als Symbol der Briten anlässlich des 1. Weltkrieges.
Christiane Busch und Harald Kredler wurden von einem Jungen eskortiert, der eine deutsche Fahne trug, als sie ihr Blumengebinde niederlegten. Grundschülerinnen und -schüler zitierten souverän aus Briefen von Kriegsteilnehmern des 1. Weltkrieges und erhielten Applaus für ihren Mut, vor vielen Leuten zu sprechen.
Zum Erstaunen aller – und das gab es noch nie am 11. November in Montigny – spielte daraufhin zunächst die Kapelle die deutsche Nationalhymne (ergreifend für die beiden Kiersper), dann die amerikanische, die britische und die französische. Die nächste Sensation für alle folgte sogleich. Ungefähr 250 Grundschulkinder sangen voller Inbrunst alle Strophen der Marseillaise, die sie tagelang vorher geübt hatten. Unermesslich die Begeisterung und der Stolz der Kleinen!
Auch das Denkmal des unbekannten Soldaten auf dem Friedhof und das Mahnmal der gefallenen Volksschullehrer vor dem Gebäude der Kriegsveteranen, der einstigen Schule, wurden durch Blumen geschmückt.
Und wiederum ereignete sich eine Überraschung. Die versammelten Grundschulkinder schaukelten und zappelten voller Erwartung und Spannung, bis Bürgermeister Michel Laugier sie endlich erneut – und dann noch zweimal – die Marseillaise singen ließ. Die Freude dieser Kinder, dass sie an den festlichen Ehrungen dabei sein und aktiv mitwirken konnten, ließ sich an ihren blitzenden Augen ablesen. Sie waren fröhlich und einfach glücklich.
Die Feier fand ihr Ende im Rathaus beim offiziellen Empfang der Bürgerschaft bei Appetithäppchen und natürlich Champagner.
Bevor Christiane Busch und Harald Kredler die Rückfahrt nach Kierspe antraten, ludt sie Michel Laugier noch zu einer Stärkung im Restaurant ein.
Gegen 15 Uhr verließen sie voller unvorstellbaren Eindrücken die Partnerstadt im Sponsorencaddy der Firma VW Knabe, der hier ein großer Dank geschuldet ist.